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Zwei Monate lang traf ich niemanden privat, verließ das Haus nur wegen Einkäufen und absolut nötigen Erledigungen. Meine Familie sah ich über zoom, mit Freunden telefonierte oder schrieb ich. Als ich mit Bettina telefonierte, überlegten wir kurz, ob wir uns vielleicht doch über eine Video-Konferenz unterhalten sollten. Aber da wir uns noch nie persönlich sprachen, beschlossen wir, dass wir uns live begegnen wollen. Es ist der 11.05.2020. Seit einer Woche dürfen Friseure und alle Geschäfte unter Auflagen wieder öffnen. Mit kleinen Schritten gehen wir in Richtung Normalität.

Wir verabreden uns also in den Coaching- und Seminarräumen „sinnIHRraum®“. Ich komme mit einer Mundmaske an. Bettina macht die Tür auf und bleibt 2 Meter von mir entfernt stehen. Das ist eine seltsame Begrüßung. Ich weiß, sie ist notwendig, aber meine Seele ist etwas ratlos. So tief sitzt das Bedürfnis, dem Menschen gegenüber die Hand zu reichen, durch körperliche Nähe eine Beziehung aufzubauen. Corona zwingt uns, unsere Gewohnheiten zu ändern.

Bettina Erbe

Bettina Erbe ist Coach und Organisationsentwicklerin, Gründungspartnerin der teamsysplus®BERATUNG, Inhaberin und Weiterbildungsleitung der teamsysplus®AKADEMIE und Geschäftsleitung der „sinnIHRraum®“ GmbH. Nach Ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften, BWL und Psychologie an der LMU München arbeitete sie erstmal viele Jahre als Führungskraft im Bereich Marketingkommunikation solch namhafter Unternehmen wie Microsoft, AOL/ Bertelsmann, Otto Versand und DAB Bank. Seit über 15 Jahren ist sie als Systemische Coach tätig. Seit 2009 bietet Sie Weiterbildungen im Bereich Systemisches Coaching und Organisationsentwicklung an. Ihre Kompetenzen ergänzte sie im Laufe der Zeit unter anderem mit berufsbegleitendem Studiengängen der Neurowissenschaften in Köln und der Organisationsentwicklung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Neben ihren vielfältigen beruflichen Einsätzen ist sie Lehrbeauftragte der Hochschule für angewandtes Management an der Fakultät Wirtschaftspsychologie und Mentorin und Expertenberaterin in der Frauenakademie. In der Freizeit kocht sie, fährt Fahrrad oder macht Nordic-Walking, strickt, näht und liest viel. Sie liebt Theater, Oper und Kino und generell das Großstadtleben in München und Hamburg.

Arleta Perchthaler: Bettina, Du bist beruflich sehr vielfältig: Du bist Coach und Beraterin für Führungskräfte und Unternehmen, leitest Deine Akademie für neurowissenschaftlich-systemische Prozessberatungs-Weiterbildungen und bildest Menschen aus, und zusätzlich hast Du diese wunderbaren Räumlichkeiten konzipiert und gestaltet, die man als Seminar- und Coachingräume buchen kann. Wie war Dein Weg zu dem, was Du aktuell machst?

Bettina Erbe: Ich war über 20 Jahre im Marketing tätig. Mein Abenteuer mit Coaching fing an, als ich als Führungskraft beim Otto Versand in Hamburg arbeitete. Aus einem Mitarbeitergespräch ergab sich bei mir der  Wunsch nach der Unterstützung durch einen Coach. Coaching war damals noch nicht so etabliert wie heute – das sind ja 20 Jahre her – aber der Otto Versand war da fortschrittlich. So bekam ich ein Führungskräfte-Caching und im Anschluss noch ein Teamcoaching mit meiner Abteilung. Ich fand es total faszinierend! Ich dachte: Keine Ahnung, wie diese Frau, also meine Coach, das macht, aber das würde ich auch gerne können! Diese Art, Menschen an Antworten heranzuführen, ohne Ratschläge zu geben, so wertschätzend und auf Augenhöhe ….  Mein Coaching war super-erfolgreich.

Als ich ein paar Jahre später hörte – damals schon wieder in München bei einer Bank – dass meine Coach in Hamburg ein Ausbildungsinstitut gründet, sah ich das als einen Wink mit dem Zaunpfahl. Ich suchte auch nach einer passenden Ausbildung in München, fand aber leider nichts Adäquates mit einem passenden Ansatz. Also meldete ich mich in Hamburg an. Ich fand es super und fing schon während der Ausbildung an zu coachen. Im Anschluss belegte ich noch eine Teamcoaching-Weiterbildung. Schnell war es klar, dass mir Coachen viel mehr Spaß macht als mein Marketing-Job. Aber ich traute mich nicht zu springen. Ich und selbständig? – dachte ich – ich weiß nicht… Ich überlegte sogar, mir einen Halbtagsjob zu suchen und die andere Hälfte der Woche mein Coaching Business aufzubauen. Aber irgendwie kam ich nicht voran. Letztlich klärte sich für mich in einem Entscheidungscoaching mit einer meiner Ausbilderinnen aus Hamburg, dass das halb-halb für mich nicht geht. Zumeist macht frau da einen Fulltime-Job für die Hälfte des Gehaltes …

Ich kündigte ganz regulär und machte mich doch selbständig. Und da ich ja nach wie vor sehr überzeugt von den Hamburger Weiterbildungskonzepten war, kam ich auf die Idee, die Hamburger zu fragen, was sie von einer Münchner Außenstelle halten. Sie fanden die Idee gut und so baute ich im Franchise den Münchner Standort auf. Als der Vertrag 2016 auslief, war sozusagen die Fläche frei für die eigene Akademie. Inzwischen hatte ich 7 Jahre Erfahrung, den Standort mit allem Drum und Dran aufgebaut und betrieben. Ich positionierte mich neu mit neurowissenschaftlich-systemischer Richtung als teamsysplus®AKADEMIE, als Pendant der seit 2012 existierenden teamsysplus®BERATUNG, die ich seinerzeit mit 2 Kollegen als Partnergesellschaft gegründet hatte. Heute habe ich einen Dozentenstamm mit 17 Dozenten und bilde in Coaching und Organisationsentwicklung als Leitung auch mit aus. Unser Weiterbildungsangebot reicht von Einzelcoaching oder Veränderungsprozess-Beratung, wie ich das gerne nenne, bis hin zu Qualifizierungen in Organisationsentwicklung und Facilitation (Großgruppenmoderationen). Demnächst kommen eine klassisch-agile-Projektmanagement-, eine systemische organisationsentwicklungs-orientierte Aufstellungs-Weiterbildung und eine Train-the-Trainer-Ausbildung für das Zürcher-Ressourcenmodell dazu. Letzteres in Kooperationen mit marktführenden Experten-KollegInnen. Ich finde, man muss nicht und kann nicht alles selbst machen. Unsere Entwicklungsfelder sind so vielfältig – da sind Kooperationen m.E. auch qualitativ die einzig sinnvolle Möglichkeit, erweiternde Felder zu integrieren. Ergänzend gibt es freie Supervisionsabende, Praxis- und Methoden-Kurzworkshops.

AP: Was war die größte Schwierigkeit am Anfang?

BE: Die größte Schwierigkeit war am Anfang, Teilnehmer zu akquirieren. Im Marketing war ich über 25 Jahre etabliert. Aber im Bereich Coaching hatte ich keine Referenzen – woher auch. Insofern war ein Franchise unter der etablierten Marke der Hamburger Akademie sehr hilfreich. Ich wurde auf der Webseite mit eingeschlossen und hatte am Anfang die Dozenten-Unterstützung aus Hamburg.

In den ersten Jahren arbeitete ich nicht als Dozentin, sondern kaufte für jedes Modul zwei Lehrkräfte ein. Zunächst aus Hamburg, aber nach und nach auch aus München. Über Führungskräfte-Entwicklungsprogramme bei meinen früheren Arbeitgebern hatte ich den einen oder anderen Kontakt zu potenziellen Ausbildern in München. Auf meinen eigenen Fortbildungen als Teilnehmerin und Netzwerk-Veranstaltungen lernte ich weitere kennen. Immer, wenn ich das Gefühl hatte, da passt jemand grundsätzlich von der Haltung her und hat eine entsprechende Qualifizierung und Erfahrung, sprach ich die FachkollegInnen an. Aus unseren ersten Ausbildungsjahrgängen gibt es nun nach mehr als 10 Jahren inzwischen Kollegen und Kolleginnen, die selbst genug Erfahrung sammeln konnten, um mit ins Dozententeam einzusteigen. Also wenn ich weitere KollegInnen suche, greife ich natürlich präferiert auf diesen Pool zurück.

AP: Hattest Du irgendwelche finanziellen Polster, als Du gestartet bist?

BE: Mein einziges Einkommen war der Gründungszuschuss, den ich 6 Monate lang bekam. Glücklicherweise gelang es mir innerhalb von 4,5 Monaten, mit dem ersten Ausbildungsjahrgang mit zwölf Teilnehmern zu starten. Im ersten und zweiten Jahr verdiente ich aber nichts. Ich musste die Dozenten bezahlen, die Räume mieten, die Franchise-Fee zahlen… Da blieb nichts übrig. Mit anderen Consulting- und Coaching-Aufträgen und Team-Coachings musste ich genug verdienen, dass ich selbst über die Runden komme. Das gelang mir auch gut.

AP: Hattest Du in der Zeit Existenzängste?

BEJa, immer mal wieder, klar! Aber es musste irgendwie gehen!

AP: Du betreibst zusätzlich eine Vermietungsgesellschaft sinnIHRraum©. Wie kam es zu dieser Idee?

BE: Am Anfang veranstaltete ich meine Ausbildungsmodule in Business Centern. Für 3 Tage alle 6-8 Wochen machte es keinen Sinn, eigene Räume vorzuhalten. Konferenzräume in Hotels fand ich nicht gut. Nach meinem damaligem Empfinden – und heutigem Wissen – bieten sie keine gute Lernatmosphäre. Auch die meisten Business Center sind suboptimal. Sie sind meistens kalt eingerichtet, mit grauen Büromöbeln, kahlen Wänden. Aber ich suchte mir immer eins, welches persönlich geführt wurde, nett eingerichtet war, eine passende Atmosphäre und zentrale Lage hatte. Zum Schluss war ich in einer Bürogemeinschaft. Ich hatte einen großen Raum, in dem die Ausbildungen stattfanden. In der Zwischenzeit nutzte ich den als Büro. Zusätzlich konnte ich einen Konferenzraum nach Bedarf dazubuchen. Das war gut, aber auch sehr teuer an dem Standort in der Brienner Strasse. Und so dachte ich, bei diesen Mietkosten für eine selektive Nutzung, kann ich auch selbst Räume anmieten, ausstatten und ein Vermietungsgeschäft dahinter hängen. Das war 2012.

AP: Hast Du die Räume selbst eingerichtet?

BE: Ja. Alles komplett mein Konzept und meine Ideen und Organisation. Im Recycling-Design. Alles, was Du hier siehst, hatte vorher eine andere Funktion. Nachhaltigkeit war schon immer eins meiner großen Themen. Wir haben Tische aus Baupaletten-Holz, Regale aus zersägten alten Möbeln. Das Argument kann nicht immer sein, dass ein Neukauf billiger ist. Das kostet doch wieder neue Ressourcen. Deswegen gebe ich z. B. auch Geld aus, um etwas zu reparieren, wenn es sinnvoll ist –  auch wenn mich die Neuanschaffung günstiger käme.

Vor der Einrichtung recherchierte ich ganz viel im Internet. Ich fand eine Webseite Zweitsinn.de (gibt es heute leider nicht mehr). Eine NRW-Förderprojekt-Vertriebsplattform für Recycling-Designer. Die Mitglieder konnten dort Fotos von ihren Werken einstellen und sie bewerben. Die meisten waren wirklich außergewöhnliche Design-Unikate. Ich fand dort mehrere passende Objekte. Glücklicherweise befanden sie sich alle in 2 Wertstoffhöfen in NRW. Ich ließ sie mir reservieren, fuhr dort hin, schaute sie mir live an und machte einen Großeinkauf und musste nur doch den Transport organisieren. Innerhalb von 8 Tagen hatte ich die Einrichtung für alle Räume. Accessoires sind dann natürlich erst nach-und-nach dazu gekommen.

Bei sinnIHRraum gibt es folgende Räume zu mieten:

  • sinnIHR-Coachingraum (ca. 10 qm)
  • sinnIHR-Besprechungsraum (ca. 30 qm)
  • sinnIHR-Seminarraum (ca. 40 qm)
  • sinnIHR-Gruppenraum I + II (ca. 55 qm)
  • sinnIHR-GruppenRaum III (ca. 16 qm)

Alle Räume gibt es inkl. 50 Mbit WLAN-Nutzung, Getränkeauswahl, und kleinem Moderationsset.

Zusätzliche Moderationsmaterialien sowie Frühstücks- und Kaffeepausenverpflegung können nach individueller Anfrage dazu gebucht werden. Die Räume können pro Stunde, einen halben oder einen ganzen Tag gebucht werden. Preise auf der Webseite „www.sinnihrraum.de“. Reservierung telefonisch oder per Mailanfrage.

AP: Und wann gab es dann das erste Seminar?

BE: Freitag wurde alles ausgeladen. Und am Samstag hatten wir die erste Veranstaltung. Das war knapp … hat aber funktioniert.

AP: Den Räumen merkt man es an, dass sie mit Liebe eingerichtet sind, dass sich hier jemand Gedanken machte. Sie haben Persönlichkeit.

EB: Ich höre das tatsächlich immer wieder. Und natürlich gerne. Auch, dass es hinter allem einen gewissen Sinn gibt: Ob das die Nachhaltigkeits-Möbel sind oder unser Catering. In Nicht-Corona-Zeiten bieten wir hier eine kleine hausgemachte Verpflegung: Kaffee, Frühstückspause und Nachmittagspause. Es gibt z. B. gutes Bio-Brot mit hausgemachten Aufstrichen, Kräutern vom Balkon, hausgemachtem Kuchen und Quarkspeisen und Fair-Trade-Kaffee.

Mittags gehen die Absolventen hier im Umfeld essen. Wir kooperieren mit zwei Restaurants. Die Gäste bekommen 10% Rabatt, wenn sie den Tisch über uns reservieren. Oder sie nutzen die Pause für einen Spaziergang im Englischen Garten oder für ihre Besorgungen. Die zentrale Lage macht vieles möglich. Ich finde es „gehirngerecht“, wenn die Teilnehmer ihre Pausen und Abende so verbringen können, wie es für sie am besten ist, statt in meist teuren Seminarhotels „gruppen-verknechtet“ zu werden.

AP: In der Corona-Zeit mussten ja die Präsenz-Veranstaltungen alle abgesagt werden. Bietest Du Deine Ausbildungen jetzt online an?

BE: Nein. Ich habe mich sehr bewusst dagegen entschieden. Als Inhaberin muss ich mir natürlich Gedanken machen, wie es weitergeht. Aber ich habe auch die Verantwortung, als Ausbildungsleitung Qualität zu bieten und diese würde bei reinen Online-Weiterbildungsangeboten m.E. zu stark leiden. Im Coaching-Bereich arbeite ich teilweise online. Manchmal geht es nicht anders, wenn meine Klienten zum Beispiel im Ausland sitzen. Aber ich mache es grundsätzlich nur dann, wenn ich jemanden schon persönlich kenne. In den Weiterbildungen ist viel mehr die tatsächliche Präsenz relevant. Bei solchen persönlichkeitsbildenden Weiterbildungen, wo sich viel um den Kontakt der Gruppe und der Teilnehmer untereinander dreht, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, nur online auszubilden. Im Trainingsbereich – ein anderes Thema. Ein rein digitaler Kanal reduziert wahnsinnig die Wahrnehmung, was beim Kennenlernen, Kontakt- und Vertrauensaufbau äußerst ungünstig ist, vom gehirngerechten Lernen ganz zu schweigen.

Unsere Weiterbildungen sind neurowissenschaftlich-systemisch. Daher ist mir wichtig, auch bei der Auswahl der Ausbildungsform den Stand der Forschung zu berücksichtigen. Einen ganzen Tag vorm Bildschirm zu verbringen ist extrem anstrengend. Es erfordert eine ganz andere Art der Aufmerksamkeitsfokussierung. Wir wissen, dass unser Gehirn umso aufnahmefähiger ist, je mehr Sinneskanäle sich synergetisch unterstützen. Also wenn ich nur visuell-akustisch unterwegs bin, sind diese Kanäle überfordert. Nach 45 Minuten Fokussierung auf den Bildschirm lässt bei den meisten Menschen die Aufmerksamkeit massiv nach. Die Augen ermüden, fangen an zu tränen, die Konzentration lässt nach. Ein 3 Tage Modul online anzubieten, kann ich mir daher nicht vorstellen. Selbst wenn ich es zeitlich ausweiten würde – denn drei volle Tage am Stück wären ohnehin undenkbar. Unsere Absolventen sitzen in ihren Jobs häufig schon mehr als genug vor dem Bildschirm.

Am kommenden Samstag starten wir wieder mit Präsenzausbildungen. Die Räumlichkeiten sind groß genug, dass wir hier die Abstands- und Hygieneregeln einhalten können. Alle TeilnehmerInnen wurden vorher gefragt, was sie davon halten und ob sie teilnehmen möchten. Viele sind der virtuellen Veranstaltungen müde und sagen: „Gott sei Dank endlich mal wieder ein persönliches Treffen“ – wenn auch distanziert natürlich.

AP: Wir unterhielten uns am Anfang über die Herausforderungen der Corona-Zeit. Was sind für Dich die positiven Seiten dieser Krise?

BE: Es gibt einiges Positives! Zum Beispiel beim Thema Umgang mit Ressourcen: Es wird uns nachhaltig in der gesamten Gesellschaft in unterschiedlichen Intensitäten zum Nachdenken anregen. Es werden sich viel mehr Menschen fragen: Muss ich drei Mal im Jahr mit Fliegern und auf Kreuzfahrtschiffen um die Welt fahren? Brauche ich unbedingt ein Auto? Muss ich fliegen oder kann ich auch mit der Bahn fahren? Ich denke, auch der Digitalisierungs-Schub wird maßgeblich dazu beitragen, dass die Sinnhaftigkeit der Flugkilometer zu einem 2-Stunden-Meeting in Paris in Frage gestellt wird.

Ich glaube, es wird ein Ruck in Richtung virtuelle Kommunikation geben. Ich denke, vor allem im Trainingsbereich wird sich das durchsetzen. Gleichzeitig wird sich da auch eine Balance einstellen. Wir werden jetzt nicht alles online machen. Bei Verhandlungen, Kennenlernen-Treffen etc. ist eine persönliche Präsenz effizienter. Das ist eine andere Kontaktintensität.

Und dann ist da natürlich das Thema Entschleunigung. Der Shut-Down lädt die Menschen dazu ein, zu reflektieren, was wirklich wichtig ist. Ich selbst wurde gezwungen, einen Gang herunter zu schalten. Inzwischen tue ich es auch immer wieder bewusst. Passenderweise hatte ich mich davor bereits zu einem 8-wöchigem MBSR-Achtsamkeitskurs angemeldet, der dann auch nur virtuell stattfinden konnte. Die Online-Variante konnte nicht ansatzweise das volle Spektrum einer Präsenzveranstaltung entwickeln, zeigte mir aber doch, dass ein bisschen was möglich ist. Nun habe ich mich zu einer intensiven 2-jährigen Fortbildung „Mindfulness Leadership“ angemeldet…

AP: Wie bist Du Mentorin bei MOVE! geworden?

BE: In einem unserer Ausbildungsjahrgänge zum Systemischen Coach lernte ich die jetzige Geschäftsführerin Sabine Wolf kennen. Sie wechselte gerade frisch als Mitarbeiterin zur Frauenakademie und erzählte mir, dass sie sich immer über neue Mentorinnen freuen. Ich meldete mich dort an und relativ schnell arbeitete ich mit der ersten Mentee. Die Aufgabe empfinde ich als eine große Bereicherung für mich. Das ist mein Beitrag an die Gesellschaft, da kann ich etwas zurückgeben. Ich mach das inzwischen über 8 Jahre und mit wachsender Begeisterung. Was MOVE! macht, ist großartig!

Durch meine Akademie habe ich die Möglichkeit, die Frauenakademie zusätzlich zu unterstützen. In der Präsenz-Weiterbildung zur/m neurowissenschaftlich-systemischen Coach veranstalten wir sogenannte Live-Coachings. Das sind Coachings, in denen einer der Absolventen für eine Stunde die Rolle des professionellen Coachs übernimmt. Die Live-Coachees werden in der Regel durch die AbsolventInnen akquiriert, doch durch kurzfristige Absagen, brauchen wir immer mal wieder Klienten, die sich für diese wertvolle, kostenfreie intensive Coaching-Stunde zur Verfügung stellen. Das ist eine tolle Win-Win Geschichte, wenn ich für 2-3 Mentees p.a. der Frauenakademie diese Möglichkeit bieten kann.

AP: Mit welchen Schwerpunkten kommen die Mentees zu Dir?

BE: Meistens sind das Personen, die in irgendeiner Form einen Marketing Hintergrund haben, weil ich selbst auch aus dem Marketing komme. Häufig geht es um berufliche Perspektiventwicklung. Viele, die etwas anders machen wollen als bisher, brauchen einen Sparringspartner, um gemeinsam zu schauen, was das sein könnte. Und auch Resilienz ist manchmal ein Thema, mit Achtsamkeit als wichtigem Aspekt.

AP: Was würdest Du einer Person raten, die sich jetzt gerade in dieser taffen Zeit beruflich verändern will?

BE: Viele denken, das macht jetzt gerade gar keinen Sinn, weil es ja nichts gibt. Das stimmt so nicht. Ja, es werden im Moment viele Entlassungen ausgesprochen. Gleichzeitig gib es aber auch Bedarf. Je nachdem für WAS. Deswegen ist es wichtig, nicht zu pauschalisieren, sondern zu fragen: Was möchte diejenige anbieten? Wo möchte sie tätig werden? Das Unvernünftigste wäre im Moment, nichts zu machen. Ich kann mich auch in solchen Zeiten bei potentiellen Arbeitgebern vorstellen, kann mich in ihrer Erinnerung verankern. Das sollte man vielleicht etwas anders machen, als man es sonst tut. Aber ich sollte auf jeden Fall im Gespräch bleiben.

AP: Was ist besonders wichtig in der beruflichen Veränderungsphase?

BE: Zu schauen, inwieweit ich mir über das, was mich bewegt und steuert, im Klaren bin. Inwieweit ich mich selbst gut kenne. Wie gut kenne ich meine Persönlichkeit, Werte, Glaubenssätze, Kompetenzen und Fähigkeiten? Was ist das, was das Gefühl in mir erzeugt, dass die Situation stimmig ist? Wer bin ich, was kann ich, was will ich, was will ich nicht oder nicht mehr? Und diese Kriterien sollten in die Ermittlungen der beruflichen Perspektive mit hinein.

AP: Gibt es noch etwas, was Du unseren Lesern gerne mitgeben würdest?

BE: Einer meiner Leitsprüche wurde seinerzeit von Gustav Schickedanz, dem Gründer des Quelle Versands geprägt: „Wollen. Wägen. Wagen.“ Das ist für mich ein Coaching-Leitsatz, sowohl als Coachee als auch als Coach. Das ist gleichbedeutend mit wertschätzender Veränderungsbegleitung auf Augenhöhe.

AP: Liebe Bettina, danke Dir für den spannenden Einblick in Dein Leben, Deine Arbeit und die inspirierenden sinnIHR-Räumlichkeiten!

BE: Herzlichen Dank Dir für das interessierte Gespräch!


Dieser Artikel entstand im Rahmen der Interview-Reihe 12 Monate – 12 Mentorinnen.

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